Vorsicht, Freie Mitarbeit - ein gefährdeter Status!
Freie Mitarbeit in Heilberufen: Immer mehr Unsicherheit durch Statusfeststellungsverfahren
In vielen therapeutischen Praxen – von der Osteopathie über die Physiotherapie bis hin zur Ergotherapie – war die Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitenden lange selbstverständlich. Doch seit einigen Jahren wird genau diese Form der Kooperation zunehmend infrage gestellt. Immer mehr Therapeut*innen berichten von Schwierigkeiten, wenn sie als freie Mitarbeitende tätig sind. Grund dafür ist das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung (DRV), das in vielen Fällen die Selbstständigkeit nicht anerkennt.
Reform mit Folgen: Strengere Prüfungen seit 2022
Seit der Reform des Statusfeststellungsverfahrens zum 1. April 2022 hat sich die Situation weiter verschärft. Zwar wurde das Verfahren modernisiert – etwa mit der Möglichkeit, den Status bereits vor Tätigkeitsbeginn klären zu lassen („Prognoseentscheidung“) oder für mehrere gleichartige Aufträge gebündelt zu prüfen. Doch die Praxis zeigt: Die DRV legt die Kriterien für eine selbstständige Tätigkeit heute strenger aus als früher.
Gerichte bestätigen diesen Trend. Das Landessozialgericht Schleswig-Holstein entschied 2024 (Az. L 5 BA 17/21), dass freie Mitarbeit nur dann vorliegt, wenn echte unternehmerische Selbstständigkeit erkennbar ist – etwa durch eine eigene Patient*innenverwaltung, eigene Kommunikation, eigenes Risiko und mehrere Auftraggeber. Wer dagegen vollständig in die Abläufe einer Praxis eingegliedert ist, Termine über die Praxis erhält oder die Räume regelmäßig nutzt, gilt in der Regel als beschäftigt – auch wenn der Vertrag etwas anderes sagt.
Ein weiteres Urteil vom Januar 2025 (Az. L 10 BA 10005/21) bekräftigt diese Linie: Ohne eigene betriebliche Infrastruktur und ohne nachweisbare unternehmerische Entscheidungen wird freie Mitarbeit kaum noch anerkannt.
Positive Beispiele, aber hoher Aufwand
Es gibt aber auch Lichtblicke. Das Sozialgericht Koblenz bestätigte im Mai 2025 die freie Mitarbeit eines Therapeuten, der Hausbesuche machte, selbst Termine koordinierte und eigene Rechnungen stellte. Der Fall zeigt: Freie Mitarbeit bleibt möglich – aber nur, wenn sie tatsächlich unternehmerisch gelebt wird.
Für viele Praxen ist das jedoch kaum umsetzbar. Vor allem Osteopathiepraxen, in denen mehrere Therapeut*innen unter einem Dach arbeiten, geraten hier schnell in eine Grauzone. Sobald die Praxis Räume, Infrastruktur oder Patient*innenmanagement zentral steuert, sieht die DRV meist eine abhängige Beschäftigung.
„Vorsicht vor Scheinselbstständigkeit“ – Warnungen aus den Verbänden
Auch Berufsverbände warnen. Die hpO (Berufsvereinigung für heilkundlich praktizierte Osteopathie) rät ausdrücklich, bei der Beschäftigung freier Mitarbeiter*innen vorsichtig zu sein: Das Risiko, dass im Nachhinein eine abhängige Tätigkeit festgestellt wird, sei groß. Das BMWK-Existenzgründungsportal empfiehlt Osteopath*innen und Physiotherapeut*innen sogar, bei jeder Tätigkeit in einer fremden Praxis eine Prüfung zu veranlassen, da oft Merkmale einer Beschäftigung vorlägen.
Diese Entwicklungen führen dazu, dass immer mehr Therapeut*innen verunsichert sind. Während viele Praxen über Jahre mit freien Kolleg*innen erfolgreich gearbeitet haben, drohen nun Nachforderungen, Rückzahlungen und bürokratische Verfahren.
Was Praxen jetzt tun sollten
• Status vorab prüfen: Die Prognoseentscheidung der DRV kann helfen, rechtzeitig Klarheit zu schaffen.
• Unternehmerische Unabhängigkeit sicherstellen: Eigene Patient*innen, eigene Rechnungen, eigene Terminverwaltung und eigene Werbung sind zentrale Merkmale.
• Verträge prüfen lassen: Es lohnt sich, bestehende Vereinbarungen rechtlich zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
• Dokumentation pflegen: Entscheidend ist nicht nur der Vertrag, sondern das tatsächliche Arbeiten im Alltag.
Fazit
Die freie Mitarbeit in Heilberufen steht auf dem Prüfstand. Für viele Praxen und Therapeut*innen bedeutet das eine neue Realität: Selbstständigkeit ist heute kein formaler Status mehr, sondern muss klar belegt und gelebt werden. Für die Osteopathie ist das besonders relevant – denn hier arbeiten viele in Praxisgemeinschaften oder Kooperationsmodellen. Wer rechtzeitig informiert ist und seine Strukturen sauber aufstellt, kann aber auch künftig frei arbeiten – ohne böse Überraschungen.
Quellen (Auswahl, Stand November 2025)
Deutsche Rentenversicherung: Neuregelung des Statusfeststellungsverfahrens ab 01.04.2022
Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Urteile v. 24.04.2024 (L 5 BA 17/21) und 28.01.2025 (L 10 BA 10005/21)
Sozialgericht Koblenz, Urteil v. 07.05.2025 – freie Mitarbeiterschaft bestätigt (Bericht RA Alt)
hpO: „Vorsicht vor Scheinselbstständigkeit in Osteopathiepraxen“, 2023
BMWK Existenzgründungsportal: „Osteopathie und Physiotherapie in Dritt-Praxen anbieten – scheinselbständig?“
Bundestagsdrucksache 21/1059 (2025): Kleine Anfrage zur Praxis der DRV im Statusfeststellungsverfahren